Allgemeines zur Depression

Warum?
Jede Depression hat einen Grund. Er kann offensichtlich sein oder schwer zu finden. Aber er ist da. Immer.
Meiner liegt lange zurück. Ich hatte kaum eine Chance auf ein normales Leben. Ich bin unerwünscht zur Welt gekommen. Man hat mich in der Familie herumgereicht. Ich wurde misshandelt, lange Zeit missbraucht. Meine leicht autistische Besonderheit erleichterte es, mich zu missbrauchen. Einfach deswegen, weil ich kaum unterscheiden kann, was normal ist zwischen Menschen und was nicht. Das schädliche Verhalten meines Stiefvaters nahm ich als extrem unangenehme Gegebenheit hin. Auf die Idee, mich zu wehren kam ich nicht. Und wenn, dann ungeschickt und ohne jeden Nachdruck. Ich sage das nicht, um zu jammern. Es ist eine Erklärung. Mehr nicht. Die emotionslose Art in der ich meine Kindheit, meine Jugend heute betrachte, überrascht mich selbst. Ich sehe sie an, als gehöre all das nicht zu mir. Damit könnte die Angelegenheit erledigt sein. Ist sie nicht, weil der Stoffwechsel des kindlichen Gehirns sich unter Dauerstress verschiebt. Zu wenig Serotonin, kaum Dopamin. Das könnte einen Sinn gehabt haben. Der Körper ist bemüht sich zu schützen. Ich halte es für möglich, dass diese Verschiebung hilft, den Dauerstress überhaupt zu überleben. Leider lässt sich das nicht rückgängig machen, wenn es allzu lange andauert. Bei einer kurzfristigen, akuten Depression passiert im Gehirn das Gleiche. Mit der richtigen Behandlung lässt es sich wieder korrigieren. Nicht, wenn es chronisch geworden ist, sich eingebrannt hat.

Hilfe und Selbsthilfe
Medikamente helfen ein wenig. Sie sind chemische Krücken, die die Krankheit nicht heilen, aber erleichtern. Die meisten Menschen mit chronischen Depressionen warten zu lange, wehren sich gegen die Chemie. Den Fehler beging ich auch. Inzwischen nehme meine Pillen und freue mich über die Linderung.
Psychotherapie ist für eine Weile ebenfalls ein sinnvolles Hilfsmittel. Die Therapeuten können viel dazu beitragen, die Krankheit zu verstehen und das verzerrte Selbstbild, zumindest theoretisch, ein wenig gerade zu rücken. In den diversen Klinikaufenthalten gab mir die Therapie Hilfsmittel an die Hand, die mir erlauben, mich besser zu fühlen.

Bewegung
Man muss kein Leistungssportler sein, um der Depression Paroli zu bieten. Ein großer Spaziergang mit meinem Hund hat sich für mich als hilfreich erwiesen. An schlechten Tagen bin ich anschließend so erschöpft, dass ich mich hinlegen muss. Immerhin fühle ich mich währenddessen wohl. Das soll genügen. Ein oder zwei Stunden Pause von der inneren Qual. Kein hoher Anspruch, ich weis. Ich bin nicht zum Spaß in Frührente. Die Rentenkasse macht keine Geschenke. Es ist in Ordnung kleine, wirklich sehr kleine Brötchen zu backen. Damit komme ich zum nächsten Punkt.14.2.2 Akzeptanz
Das war der schwerste, gleichzeitig der wichtigste Brocken. Und ich ruhe keineswegs ständig in einem wohlwollenden Akzeptieren meiner Selbst. Ich genieße die Stunden, während derer ich annehmen kann, was nicht zu Ändern ist. Die meiste Zeit hadere ich mit mir und stehe mir damit umso mehr im Wege.

Akzeptieren was war
Ich habe mich lange mit der Frage nach dem Warum beschäftigt. Warum musste ich eine so desolate Kindheit erleben? Was habe ich der Welt getan? Mehr als einmal hat mich der blanke Zorn geschüttelt. Eine Wut, die gerechtfertigt ist, die gefühlt werden darf. Das Forschen nach dem Sinn hingegen ist sinnlos. Es gibt keinen. Manche reden vom Seelenplan. Damit sind die Opfer von Gewalt irgendwie selbst schuld. Ganz schön unverschämt. Ich hatte einen bösartigen Stiefvater, der sich an einen kleinen Mädchen vergriffen hat. Basta. Es gibt keinen Sinn. Ich werde nie erfahren, wie mein Leben verlaufen wäre, hätte ich eine normale, liebevolle Familie gehabt. Ich hatte keine. Das zu akzeptieren ist hässlich. Aber es erspart stundenlanges und vor allem fruchtloses Grübeln.

Akzeptieren was ist
Ich habe einen Schaden! Mein Gehirn braucht Medikamente um mich nicht indirekt umzubringen. Ich bin weniger leistungsfähig als gesunde Menschen, an manchen Tagen schaffe ich nur das Allernötigste, oder nicht einmal das. Meinen Lebensunterhalt bestreitet die Rentenkasse, somit die Menschen, die arbeiten und dort einzahlen. Die Tatsache, dass ich ein recht komfortables Leben mit Urlauben in diversen Ländern führe, verdanke ich dem Mann an meiner Seite, der mich und meine knappen Finanzen nimmt, wie ich bin.
An guten Tagen schreibe ich. Über die Depression, Kurzgeschichten, an einem Roman, der nicht fertig werden mag. Auch wenn ich damit kein Geld verdiene, macht es mir Freude. Es gibt Menschen, die meine Texte gerne lesen. Das tut gut zu wissen. An schlechten Tagen kann ich mich dazu nicht aufraffen. Es scheint mir sinnlos, Texte zu schreiben, die niemand lesen will. Depression verzerrt die Realität. Das ist eine ihrer Tücken. Die übelsten Zeiten verbringe ich im Bett. Ohne schlechtes Gewissen. Ich erledige das Nötigste, bringe den armen Hund wenigstens kurz raus, lege mich wieder hin, höre Hörbuch, schlafe viel. Inzwischen habe ich die Erfahrung gemacht, dass ich diese Tage am besten hinnehme, wie sie sind. Dann gehen sie schneller vorbei als wenn ich mich plage, mich aus dem Bett quäle, mich zu Aktionismus zwinge. Es ist, als ob der selbst gemachte Zwang diese tiefe, innere Müdigkeit weiter verschlimmert. Ich wollte wieder gesund werden, ich habe weis Gott alles dafür getan und mich schlecht gefühlt, weil mir das nicht gelingen wollte. Ich werde nicht mehr gesund. Mir das Leben so schön zu machen, wie unter den gegebenen Umständen geht, das ist machbar. Mein Ziel hat sich von „gesund werden“ auf „Lebensqualität“ verschoben. Damit ist jeder Tag, jede einzelne Stunde in der ich mich gut fühle ein kleiner Genuss, ein immer wieder erreichbares Ziel

3 Kommentare zu „Allgemeines zur Depression

  1. Deine Texte sind erhellend und lesen sich echt gut! Du hast da wirklich eine Gabe! Schätze sie und pflege sie!
    Kennst Du die Sängerin Beth Hart? Sie hat auch ihre Geschichte, mit viel Elend und manischer Depression/bipolare Störung (wohl auch eine Folge ihrer Erfahrungen). Aber sie hat ihre Gabe, und die lebt sie… und wie! Eine echte Inspiration für mich… auch wenn ich selber weit davon entfernt bin, ihre/Eure Erfahrungen zu teilen (als direkt Betroffener).

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