Liebe Mutter 1

Liebe Mutter,
ich habe lange mit mir gerungen, Dir diesen Brief zu schreiben. Vor allem, weil er nichts ändern wird. Nicht zwischen uns, nicht die Vergangenheit und nicht die Zukunft. Die Vergangenheit kann niemand ändern. Gegenwart und Zukunft, jeder in einem gewissen Rahmen, für sich selbst.
Zwischen uns wird er nichts ändern können, weil du ihn vermutlich nicht lesen wirst. Vielleicht beginnst Du zu lesen bis Du bemerkst, dass er von mir ist. Wirst Du ihn zerreißen? Zerknüllen? Einfach zur Seite legen? Oder wird Margret, Deine Freundin, ihn lesen? Ich stelle mir vor, wie Sie dir von der Lektüre abraten wird. Sie ist sehr um deinen ruhigen Schlaf besorgt.
Ich habe keine Ahnung, was das Schicksal dieses Briefes sein wird, so wie man nicht wissen kann, welches Leben ein neugeborenes Kind führen wird. Man bringt sie zur Welt, versorgt sie, so gut man eben kann, lässt die los und hofft das Beste. Bei meinen Kindern habe ich es jedenfalls so gehalten. Ich wusste, dass sie sicherlich keine Könige werden, das lag nicht in ihren Möglichkeiten, als ich sie zur Lebenspost getragen habe. Immerhin bin ich mit den Resultaten sehr zufrieden.
Nun erledige ich meinen Teil für das Leben dieser Zeilen: Ich schreibe sie nieder. Im Augenblick, so lange ich daran schreibe, so lange ich sie zu keiner Post gebracht habe, gehören sie alleine mir, so wie ein Fötus, im Uterus seiner Mutter geborgen, ihr alleine gehört. Der Uterus ist diesmal mein Laptop. Ein Uterus aus Elektroden, feinsten Verbindungen und einem Bildschirm, auf dem ich die Entwicklung dieses Babys beobachten kann. Wenn ich ihn aber über den Drucker zur Welt bringe, ihn gehen lasse, dann entscheiden andere. Vielleicht geht er einfach unter, so wie tausende von Briefen, die nie gelesen werden. A zu tu. Für mich warst Du nur ein Opfer, so wie ich. Zum Teil stimmt das. Du warst auch sein Opfer.
Erinnerst Du Dich an den Tag, an dem ich zusammengebrochen war und dir alles, was mir zugestoßen ist, erzählt habe? Ich war 22, zu Hause ausgezogen und viel zu früh verheiratet. Was tut man nicht um zu Hause raus zu kommen und dabei den Schein zu wahren. Alles für Mama. Mama soll nicht leiden.
Bis zu dem Tag war ich davon überzeugt, dass Du dieses Schwein sofort verlassen würdest, wüsstest Du, was er mir angetan hat. Ich hatte von Müttern gelesen, die Töchter im Stich ließen, zum Täter hielten. Aber meine Mutter war anders. Das war für mich so sicher wie der Boden unter meinen Füßen. Und dann kam dieser Zusammenbruch bei einer Sendung über eine missbrauchte junge Frau. Andi, mein Mann hatte Dich in seiner Not angerufen. Er wusste ja bis zu dem Moment auch von nichts. Ich hatte geschwiegen, wollte schweigen, wollte das dünne Eis meiner kleinen heilen Welt nicht in Gefahr bringen.
Und dann, Mama, geschah das Unvorstellbare:
„Ein oder zwei mal (Vergewaltigungen waren gemeint) kann ich mir vorstellen, aber doch nicht so oft. Du übertreibst. Du hast immer übertrieben. Außerdem ist er gar nicht dein Vater.“ Die Worte sind damals im weißen Rauschen eines unendlichen Schmerzes untergegangen. Aber sie trommeln wieder und wieder durch meinen Kopf. Nur ein oder zweimal … er ist nicht dein Vater ….
Wäre ein oder zweimal okay gewesen? Wofür? Weil er nicht mein Vater ist und mich dennoch ernährt hat? Eine Art Bezahlung, weil er Dich, eine schwangere Frau geheiratet hatte, ohne der Kindsvater zu sein? Einen Preis, den ich zu entrichten hatte. Ein Satz von ihm: „Ich hatte gehofft, dass Du ein Mädchen wirst“, bekam plötzlich eine schreckliche, eine grausame Bedeutung. Aber das ist mir erst viel später wieder eingefallen. Lass uns bei diesem Abend bleiben.
Dann hast Du mir erklärt, dass Du ihn nicht verlassen kannst.
„Dann würde ich das Haus verlieren.“ Hey, das war so ziemlich das Gegenteil meiner Überzeugungen. Heute glaube ich, dass mit dem Boden unter meinen Füßen auch unsere Beziehung in exakt diesem Moment die ersten Risse bekam. Oder war es nur meine Vorstellung unsere Beziehung? Ich denke, es war das erste Mal, dass sich mir die Einseitigkeit zwischen uns zum ersten Mal gezeigt hatte. Ich habe allerdings noch Jahre gebraucht, um mir selbst einzuräumen, was ich doch mein ganzes Leben lang gespürt hatte:
Ich war Dein Mädchen, Dein geliebtes Kind, so lange ich dein Selbstbild nicht in Gefahr gebracht habe.

Ich sein war nie einfach, Teil 2

Das Grauen hat einen Namen

Namenloses Grauen ist ein gerne verwendeter Standard in Horrorgeschichten aller Arten. Meines hatte einen Namen. Ich durfte es „Papa“ nennen. Die Anrede habe ich mir schon lange abgewöhnt. Er heist: „Der Alte“. Ich möchte nicht all die guten und redlichen, die echten, wirklichen Papas verunglimpfen, in dem ich meiner persönlichen Nemesis den gleichen Namen gebe. Mit der Umbenennung hat er ein Stück seiner Macht verloren. Er ist blass geworden, zum Gespenst aus früheren Tagen degradiert. Die Furcht, ihn anzusehen ist verschwunden; was ich sehe, bleibt ambivalent. Er hatte mich geliebt, irgendwie. Er konnte warmherzig sein, eine Fähigkeit, die Mutter gefehlt hatte. Ich liebe es die Dinge zu analysieren; es gibt mir Sicherheit. Betrachte ich also die beiden Menschen, die mich erzogen haben, sehe ich zwei Unfähige, die sich die Arbeit teilten. Mutter hat meinen Körper pfleglich behandelt und meine Seele erfrieren lassen. Der Alte hat versucht, sie immer wieder aufgetaut und den Körper für seine Zwecke missbraucht. Schwer zu sagen, was schlimmer gewesen ist. Über das eine zu reden war verboten, das andere war nicht zu greifen. Und ich habe dabei gelernt zu überleben, das eine verschwiegen, das andere nicht verstanden. Mutter hat viel von mir verlangt: Gute Noten in der Schule, die ihr nie gut genug waren, ein aufgeräumtes Zimmer, ohne mir zu zeigen, wie das geht und ein nettes freundliches Äußeres, was mir keine Schwierigkeiten bereitete. Der Alte hat mich genommen, wie ich bin, nie über schlechte Noten geschimpft, das Chaos in meinem Zimmer ignoriert und Strafmilderung bei Mutter beantragt, wenn ich mir wieder einmal wochenlangen Hausarrest eingehandelt hatte. Er hatte das Zeug zum Papa. Er hatte das Zeug zum Abgott meiner Kindheit, zum Engel meiner Jugend. Und ganz tief in mir ist da ein Teil Liebe, die ich mir kaum eingestehen mag. Papa, Gott und Teufel, eine schwer zu fassende Dreieinigkeit.

Allgemeines zur Depression

Warum?
Jede Depression hat einen Grund. Er kann offensichtlich sein oder schwer zu finden. Aber er ist da. Immer.
Meiner liegt lange zurück. Ich hatte kaum eine Chance auf ein normales Leben. Ich bin unerwünscht zur Welt gekommen. Man hat mich in der Familie herumgereicht. Ich wurde misshandelt, lange Zeit missbraucht. Meine leicht autistische Besonderheit erleichterte es, mich zu missbrauchen. Einfach deswegen, weil ich kaum unterscheiden kann, was normal ist zwischen Menschen und was nicht. Das schädliche Verhalten meines Stiefvaters nahm ich als extrem unangenehme Gegebenheit hin. Auf die Idee, mich zu wehren kam ich nicht. Und wenn, dann ungeschickt und ohne jeden Nachdruck. Ich sage das nicht, um zu jammern. Es ist eine Erklärung. Mehr nicht. Die emotionslose Art in der ich meine Kindheit, meine Jugend heute betrachte, überrascht mich selbst. Ich sehe sie an, als gehöre all das nicht zu mir. Damit könnte die Angelegenheit erledigt sein. Ist sie nicht, weil der Stoffwechsel des kindlichen Gehirns sich unter Dauerstress verschiebt. Zu wenig Serotonin, kaum Dopamin. Das könnte einen Sinn gehabt haben. Der Körper ist bemüht sich zu schützen. Ich halte es für möglich, dass diese Verschiebung hilft, den Dauerstress überhaupt zu überleben. Leider lässt sich das nicht rückgängig machen, wenn es allzu lange andauert. Bei einer kurzfristigen, akuten Depression passiert im Gehirn das Gleiche. Mit der richtigen Behandlung lässt es sich wieder korrigieren. Nicht, wenn es chronisch geworden ist, sich eingebrannt hat.

Hilfe und Selbsthilfe
Medikamente helfen ein wenig. Sie sind chemische Krücken, die die Krankheit nicht heilen, aber erleichtern. Die meisten Menschen mit chronischen Depressionen warten zu lange, wehren sich gegen die Chemie. Den Fehler beging ich auch. Inzwischen nehme meine Pillen und freue mich über die Linderung.
Psychotherapie ist für eine Weile ebenfalls ein sinnvolles Hilfsmittel. Die Therapeuten können viel dazu beitragen, die Krankheit zu verstehen und das verzerrte Selbstbild, zumindest theoretisch, ein wenig gerade zu rücken. In den diversen Klinikaufenthalten gab mir die Therapie Hilfsmittel an die Hand, die mir erlauben, mich besser zu fühlen.

Bewegung
Man muss kein Leistungssportler sein, um der Depression Paroli zu bieten. Ein großer Spaziergang mit meinem Hund hat sich für mich als hilfreich erwiesen. An schlechten Tagen bin ich anschließend so erschöpft, dass ich mich hinlegen muss. Immerhin fühle ich mich währenddessen wohl. Das soll genügen. Ein oder zwei Stunden Pause von der inneren Qual. Kein hoher Anspruch, ich weis. Ich bin nicht zum Spaß in Frührente. Die Rentenkasse macht keine Geschenke. Es ist in Ordnung kleine, wirklich sehr kleine Brötchen zu backen. Damit komme ich zum nächsten Punkt.14.2.2 Akzeptanz
Das war der schwerste, gleichzeitig der wichtigste Brocken. Und ich ruhe keineswegs ständig in einem wohlwollenden Akzeptieren meiner Selbst. Ich genieße die Stunden, während derer ich annehmen kann, was nicht zu Ändern ist. Die meiste Zeit hadere ich mit mir und stehe mir damit umso mehr im Wege.

Akzeptieren was war
Ich habe mich lange mit der Frage nach dem Warum beschäftigt. Warum musste ich eine so desolate Kindheit erleben? Was habe ich der Welt getan? Mehr als einmal hat mich der blanke Zorn geschüttelt. Eine Wut, die gerechtfertigt ist, die gefühlt werden darf. Das Forschen nach dem Sinn hingegen ist sinnlos. Es gibt keinen. Manche reden vom Seelenplan. Damit sind die Opfer von Gewalt irgendwie selbst schuld. Ganz schön unverschämt. Ich hatte einen bösartigen Stiefvater, der sich an einen kleinen Mädchen vergriffen hat. Basta. Es gibt keinen Sinn. Ich werde nie erfahren, wie mein Leben verlaufen wäre, hätte ich eine normale, liebevolle Familie gehabt. Ich hatte keine. Das zu akzeptieren ist hässlich. Aber es erspart stundenlanges und vor allem fruchtloses Grübeln.

Akzeptieren was ist
Ich habe einen Schaden! Mein Gehirn braucht Medikamente um mich nicht indirekt umzubringen. Ich bin weniger leistungsfähig als gesunde Menschen, an manchen Tagen schaffe ich nur das Allernötigste, oder nicht einmal das. Meinen Lebensunterhalt bestreitet die Rentenkasse, somit die Menschen, die arbeiten und dort einzahlen. Die Tatsache, dass ich ein recht komfortables Leben mit Urlauben in diversen Ländern führe, verdanke ich dem Mann an meiner Seite, der mich und meine knappen Finanzen nimmt, wie ich bin.
An guten Tagen schreibe ich. Über die Depression, Kurzgeschichten, an einem Roman, der nicht fertig werden mag. Auch wenn ich damit kein Geld verdiene, macht es mir Freude. Es gibt Menschen, die meine Texte gerne lesen. Das tut gut zu wissen. An schlechten Tagen kann ich mich dazu nicht aufraffen. Es scheint mir sinnlos, Texte zu schreiben, die niemand lesen will. Depression verzerrt die Realität. Das ist eine ihrer Tücken. Die übelsten Zeiten verbringe ich im Bett. Ohne schlechtes Gewissen. Ich erledige das Nötigste, bringe den armen Hund wenigstens kurz raus, lege mich wieder hin, höre Hörbuch, schlafe viel. Inzwischen habe ich die Erfahrung gemacht, dass ich diese Tage am besten hinnehme, wie sie sind. Dann gehen sie schneller vorbei als wenn ich mich plage, mich aus dem Bett quäle, mich zu Aktionismus zwinge. Es ist, als ob der selbst gemachte Zwang diese tiefe, innere Müdigkeit weiter verschlimmert. Ich wollte wieder gesund werden, ich habe weis Gott alles dafür getan und mich schlecht gefühlt, weil mir das nicht gelingen wollte. Ich werde nicht mehr gesund. Mir das Leben so schön zu machen, wie unter den gegebenen Umständen geht, das ist machbar. Mein Ziel hat sich von „gesund werden“ auf „Lebensqualität“ verschoben. Damit ist jeder Tag, jede einzelne Stunde in der ich mich gut fühle ein kleiner Genuss, ein immer wieder erreichbares Ziel

Zombie

Ich bin tot. Kützlich leider verstorben. das passiert mit gelegendlich, muss eine Nebenwirkung der Depression sein. Man gewöhnt sich daran. Ich laufe eine Weile als lebende Leiche durch die Gegend, als Zombie also. Merkt kein Mensch. Ich verhalte mich schliesslich weitgehend normal. Ich falle niemanden an, fresse keine Gehirne und beisse auch sonst nicht. Und mein Körper ist bislang noch nie verwest dabei. Nicht ein kleines bischen. Der Geruch wäre mich wirklich peinlich. Die meisten Leute schämen sich schon, wenn sie pupsen. Den Gestank von Verwesung zu verbreiten, das mag ich mir gar nicht vorstellen. Man könnte sich nirgendwo blicken lassen. Und besonders schön ist so ein verwesendes Gesicht auch nicht. Ich bin eitel, auch im tode noch. Sicherheitshalber schminke ich mich ein wenig. Etwas Make up, ein wenig Rouge und schon ist die Leichenblässe versteckt. Woran ich gestorben bin? Schwer zu sagen. Ertrunken vermutlich. An einem Tränenschwall. Ich kann vor übermäßigem Weinen nur warnen, wenn nicht abraten. Es lohnt sich selten, das viele Weinen. Tränen ändern nie etwas. Ich kann meine leider selten zurückhalen. Vielleicht bin ich erstickt. Es gibt Situationen, die rauben mir die Luft zum Atmen. Oder mein Herz ist vor Angst schlicht stehen geblieben. Wie unangenehm. Sensible Wesen wie ich sind anfällig. Von den Leuten um mich ist die nötige Rücksicht nicht zu verlangen. Sie fühlen sich damit schnell überfordert. Ich habe es daher aufgegeben. Ich sterbe eben immer wieder.
Natürlich hoffe ich auf eine Wiederbelebung. Und, wie immer habe ich Sorge, dass es diesesmal für immer so bleibt. Tot sein ist nicht sehr angenehm. Kurz nach dem Tod laufe ich durch eine Welt, die mich nichts mehr angeht. Das ist der Moment des Friedens. Ich versuche ihn zu genießen. Hällt leider nie lange an. Dann kommt die Trauer. Ich betrauere mich selbst. Sonst trauert niemand um mich, weil niemand bemerkt, dass ich gestorben bin. Zombieschicksal sage ich nur. Ich betrauere also einsam und alleine mein Leben ohne den Leuten damit auf den Wecker zu gehen. Ich finde, ich bin ein netter Zombie.
Essen ist eine unangenehme Zombiepflicht. Der Körper muss versorgt werden, muss schlafen, braucht pflege. So lange ich tod bin, ist der Körper soetwas wie ein ungeliebtes Haustier. Ich habe es angeschafft, nun muss ich es pflegen. Ob mir das passt oder nicht. Es gibt auch kein Tierheim für lästig gewordene Körper. Und für den Fall, dass mich irgendetwas wiederbelebt, werde ich ihn brauchen. So lange heist es, durchhalten. Und das Beste hoffen.
Liebe Grüße
Euer Zombie

Der Kampf um Entschädigung

Bislang habe ich es nicht geschafft, ein normales Leben zu führen. Ich bin inzwischen 51 Jahre alt. Vermutlich wird nichts mehr daraus. Die Depression, die Störungen im Umgang mit Menschen halten mich im Griff. Ich brauche zu viel Schlaf. Die Zeitspanne am Tag, in der ich in der Lage bin zu arbeiten ist in der Regel kurz. Zu kurz und zu unregelmäßig, um auch nur einem Halbtagsjob regelmäßig nachzugehen.

Trotzdem war ich immer eine Kämpferin. Vor 26 Jahren hatte ich endlich den Mann angezeigt, der mich meine ganze Kindheit, meine Jugend hindurch missbraucht und mehr als tausend mal vergewaltigt hat. Ich habe es nicht für mich getan. Ich habe bis heute kaum die Kraft etwas für mich zu tun. Aber für meine neugeborene Tochter war ich mir dafür nicht zu schade. Vier Jahre lang habe ich darum gekämpft den Täter, meinen Stiefvater, seiner Strafe zuzuführen. Meine Anwältin war so sicher gewesen, damals. Es war umsonst. Der Staatsanwalt hatte nicht einmal mit mir geredet. Nur mit ihm und der Familie.
Meine Familie hatte mich dafür ausgestoßen. Zehn Jahre lange keinen Kontakt zu Mutter. „Bis heute hattest du eine große Familie. Nun hast du niemanden mehr….“, stand in ihrem Brief.

Heute kämpfe ich wieder. Es ist mir inzwischen herzlich egal, dass er nie für das was er getan hatte zur Rechenschaft gerufen wurde. Ich kämpfe um Opferentschädigung. Meine Mutter lässt mich dabei, wieder einmal, im Stich. Wieder keinen Kontakt mehr. Ich kann inzwischen damit leben.
Der erste Antrag ist, wieder einmal, abgelehnt worden. Es sei nicht zu beweisen und der Täter bestreitet die Tat. Ist nicht wahr! Was bitte haben die erwartet? Die Anwältin die ich mir gesucht habe ist sich gar nicht sicher. Die Beweislage zu dünn. Das kommt vor, wenn der Missbrauch allzu früh beginnt, das Redeverbot allzu tief sitzt, das Kind gar nicht erst auf die Idee kommt sich Hilfe zu suchen. Kunststück, die wenigen Male, die ich es versucht hatte haben alles schlimmer gemacht. Ich wurde verprügelt, bedroht, weiter misshandelt und missbraucht. Ich habe früh gelernt, das es besser ist den Mund zu halten.
Nachweislich sind Opfer von frühem und lang anhaltenden Missbrauch am stärksten geschädigt und haben die schlechtesten Chancen auf ein normales Leben. Gerade diese zeigen gleichzeitig die wenigsten Anzeichen, die irgendwer bemerken könnte. Wir sind auf Schweigen gebrieft. Ich beginne heute noch zu zittern wenn ich dieses alte Verbot missachte. So wie jetzt. Ohne es verhindern zu können beginne ich zu weinen, wenn ich mit jemanden darüber rede.
Es ist dreißig Jahre her. Ich werde nicht mehr gesund. Ich kann nur versuchen, so gut es gelingt, etwas an Lebensqualität zu erhaschen. Es ist nicht fair, dass ich meinen Lebensunterhalt nicht verdienen kann, auf eine kleine Rente angewiesen bin, meinem Partner auf der Tasche liege. Es ist nicht fair, wenn meine Kinder eines Tages das karge Einkommen der Mutter aufstocken müssen. Auch wenn sie es zweifelsohne tun würden.
Deshalb kämpfe ich um diese verflixte Entschädigung. Und zwar so lange und mit allen Mitteln, mit aller Kraft, die ich dafür aufbringen kann.

Me too

Zur Zeit werden alle Frauen missbraucht. Überall und von jedem. Klar! Es scheint dabei keinen Unterschied zu machen, ob da einer einen schlüpfrigen Witz gemacht, einer Frau an den Po gefasst oder sie gleich vergewaltigt hat. Als Frau die über Jahre massivem Missbrauch ausgesetzt war geht mir das Ganze so langsam auf den Wecker. Mir haben auch schon Kollegen an den Po gefasst. Da reichen ein paar deutliche Worte Mädels! Das ist kein Grund sich gleich als Ofer von Missbrauch hinzustellen. schlüpfrige Witze kann man erwiedern oder mit einer passenden Bemerkung runterbügeln. Bemerkungen unter die Gürtellinie sind mit einem freundlichen Gruss an die liebe Ehefrau in der Regel auch schnell erledigt.
Frauen, die sich wirklich sexueller Nötigung oder einer Vergewalltigung ausgesetzt sahen könnten sich von der Diskussion inzwischen leicht verarscht fühlen. Also, ich fühle mich gewalltig verarscht.
Um eines noch klar zu stellen liebe Herren:
Eure Witze, eure Bemerkungen, ungebetene Angebote und Hinterntätschelei geht uns Frauen auf den nicht vorhandenen Sack! Das finden wir Frauen gar nicht mal so sexy. Bestenfalls unangemessen bis eklig. Aber wenn Ihr als Ekelpakete durchgehen wollt, bitte. Aber meine Damen:
DAS IST KEIN MISSBRAUCH UND DAMIT SEID IHR KEINE OPFER. VERTANDEN?